03 April 2025
Wallis

EHC Visp: die Hintergründe einer Erfolgsgeschichte

Bertrand Crittin Von Bertrand Crittin
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«Es geht wirklich darum, eine Seite in der Geschichte des Clubs zu schreiben.»

Nur wenige Kenner des Schweizer Eishockeys hätten auf eine solche Affiche gewettet. Und doch ist es so! Seit Dienstag, dem 1. April, lautet in der Auf- und Abstiegsbarrage zwischen dem Schlusslicht der National League und dem Meister der Swiss League die Begegnung Ajoie gegen Visp. In dieser Phase des Wettkampfs hat man nicht unbedingt mit den Oberwallisern gerechnet. Die Gelegenheit war also verlockend, die Hintergründe dieses Erfolgs zu erfahren. Die Walliser Kantonalbank (WKB) ist seit Jahren einer der Sponsoren des EHC Visp. Einige Stunden vor Beginn der Serie traf sie sich mit Sébastien Pico, dem CEO des Clubs. Der Manager sprach über seine Arbeit, die Strategie des Clubs, die finanziellen Herausforderungen, mit denen er konfrontiert ist, und natürlich über die sportlichen Herausforderungen. 

Die Worte des Generaldirektors sind im Hinblick auf dieses Finale von Gelassenheit geprägt. Sébastien Pico spricht von Fleiss, Respekt und Bescheidenheit und ist trotz eines hoch favorisierten Gegners von den Qualitäten seines Teams überzeugt. «Die Gruppe hält gemeinsam gesunde und wahre Werte hoch. Sie ist engagiert, diszipliniert, jung, laufstark und hat eine gute Abwehr. Unser Trainer weiss, wie man eine Liga höher steigt. Wir glauben an unsere Qualitäten und werden sehen, wohin sie uns führen.»

Sébastien Pico ist seit 2005 Generaldirektor des EHC Visp.

Sébastien Pico, wie auch immer das Finale ausgeht, Ihre Saison ist ein Erfolg, oder?
Ja, ganz klar. Der Meistertitel der Swiss League war seit elf Jahren fällig. Mit einem Aufstieg können wir noch eine Stufe höher kommen. Visp ist erst einmal, nämlich 1960, in die Nationalliga A aufgestiegen. Es geht wirklich darum, eine Seite in der Geschichte des Clubs zu schreiben. Diese Botschaft wurde den Spielern kurz vor Beginn der Serie vermittelt.

Wie erklären Sie sich diesen Erfolg, wo die vergangenen Saisons doch schwieriger waren?
Der Club musste sich neu erfinden. Bis 2014 feierte er Erfolge und schaffte es ins Finale. Die Zeit danach war sportlich durchwachsen, während wirtschaftlich und infrastrukturell wichtige Schritte unternommen wurden (Eröffnung der Lonza Arena im 2019). Es ist immer schwierig, das Sportliche, das Finanzielle und die Infrastruktur unter einen Hut zu bringen. Dies ist eine Herausforderung, an der wir ständig arbeiten, und heute haben wir es geschafft. Visp plant langfristig, lässt das Team einfach wachsen und sich weiterentwickeln. Es gibt einen öffentlichen und medialen Druck, welcher der Zeit oftmals keine Zeit lässt. Wir haben uns diese Zeit genommen und sie hat uns Recht gegeben. Der Prozess beschränkte sich nicht nur auf die sportlichen Aspekte. Es war eine wahrhaftig strategische Arbeit, die im Jahr 2023 begann – eine Arbeit an unseren Werten, die von den Spielern selbst, von den Fans und von den Partnern definiert wurde. An diesem Identifikationsprojekt konnte das gesamte Umfeld des Vereins mitwirken.

Es ist immer schwierig, das Sportliche, das Finanzielle und die Infrastruktur unter einen Hut zu bringen. Dies ist eine Herausforderung, an der wir ständig arbeiten, und heute haben wir es geschafft.

CEO des EHC Visp.

Was ist der Meistertitel der Swiss League ohne darauffolgenden Aufstieg wirklich wert?
In meiner 20-jährigen Karriere hat es noch keiner gewagt, mir diese Frage zu stellen (lacht). Man muss sich nur den Freudentaumel ansehen, den er im Umfeld des Clubs und sogar darüber hinaus auslöst. Die Mannsc+haft bekommt im Wallis und in der ganzen Schweiz ziemlich viel Beachtung. Für die meisten Spieler, die es erlebt haben, bleibt der Titel der Höhepunkt ihrer Karriere. Ein Titel der Swiss League ist mehr wert als ein paar Spiele in der National League! NHL-Spieler, die in Visp gespielt haben, wie Nico Hischier, Nikolaj Ehlers und Alex Kovalev, haben unsere Play-offs verfolgt und dem Team folgende Nachricht geschickt: «Seid stolz auf euch, Jungs!»

Die Clubs der Swiss League werden vom Reglement nicht gerade begünstigt. Sind Ihre Aufstiegschancen demnach gering?
Es wird sportlich, wirtschaftlich und strukturell alles getan, um die Clubs der National League zu schützen. Unsere Gegner nutzen die Reglemente zu ihrem Vorteil. Ajoie hat alle Hbel in Bewegung gesetzt, um die Barrage nicht bestreiten zu müssen. Ohne Erfolg. Nun verstärken Spieler des Finalisten Basel ihr Team und wir beginnen die Serie auswärts. Diese Ungleichbehandlung besteht seit 20 Jahren. Ich hoffe, eines Tages in die Nationalliga aufzusteigen, um zu zeigen, dass ich diese Meinung nicht nur in der zweiten Liga vertrete. Alle Aufsteiger, die gegen das System gekämpft hatten, schwenkten schnell um, sobald sie in der National League waren. Es gibt ein Problem im Schweizer Eishockey.

Der EHC Visp ist Schweizer Meister 2025 der Swiss League. Sein letzter Titel datiert aus dem Jahr 2014.

Es wird sportlich, wirtschaftlich und strukturell alles getan, um die Clubs der National League zu schützen.

CEO des EHC Visp.

Werden sich Ihre Ziele für die nächste Saison im Falle einer Niederlage ändern?
Die sportlichen Ziele nicht. Visp wird versuchen, an der Spitze der Tabelle mitzuspielen. Und wenn sich die Chance auf einen Platz in der höheren Liga ergibt, werden wir diese erneut zu nutzen versuchen. Wir reichen unser Dossier jedes Jahr ein. Das Wichtigste ist, dass wir unsere Arbeit fortsetzen und für mehr Fairness im Eishockey kämpfen. Letztendlich ist die Liga zweitrangig.

Und Ihre wirtschaftlichen Ziele?
Der Plan ist ziemlich einfach. Wir haben eine Kürzung des Budgets um 500’000 Franken vorgesehen. In den letzen Jahren hat der Club etwas über seine Verhältnisse gelebt. Manche Veranstaltungen wurden organisiert, um die Rechnungen auszugleichen. Das Budget würde von 6 Millionen auf 5,5 Millionen Franken sinken.

Aber wenn Visp aufsteigen würde, würde das Budget doch erheblich aufgestockt werden.
Ja, dann müssten wir zur WKB wechseln (lacht). Im Ernst, es würde sich auf 12 Millionen Franken verdoppeln. Unser Sponsoring-Budget, das derzeit 2 Millionen beträgt, müsste um 1 Million aufgestockt werden. Wir würden netto 2 Millionen aus den TV-Rechten und von den Sponsoren der Nationale League erhalten. Die Einnahmen aus dem Ticketverkauf würden um 1,5 Millionen steigen. Das sind realistische Berechnungen, die nicht von einer komplett gefüllten Eishalle ausgehen. Doch seit Jahrzehnten ist das Wallis nicht mehr in der Nationale League vertreten. Im ersten Jahr könnte eine kantonale Euphorie um ein solches Projekt entstehen.

Im Falle eines Aufstiegs würde sich unser Budget auf 12 Millionen Franken verdoppeln.

CEO des EHC Visp.

Visp wäre klarer Leader im Walliser Eishockey?
Die Geschichte hat gezeigt, dass die kantonale Ausstrahlung von der Situation der einzelnen Clubs - Visp, Siders oder Martigny - abhängt. Wenn eine Mannschaft wichtige Spiele bestreitet oder in der National League spielt, zieht sie automatisch ein Walliser Publikum an. In der regulären Saison sind 15 bis 20% unseres Publikums französischsprachig. In den Play-offs hat sich die Zahl verdoppelt. Man darf nicht vergessen, wie klein das Oberwalliser Einzugsgebiet ist. Heute stammen 30% unserer Gelder aus dem französischsprachigen Wallis. Die Nationale League bietet eine viel grössere Sichtbarkeit für die Partner. Für den Fall eines Aufstiegs haben wir positive Signale aus der Walliser Wirtschaft erhalten. 

Wie erfolgt die Auswahl Ihrer Partner?
Der Verein ist ziemlich gut strukturiert. Egal, in welchem Bereich, die Akquise und Betreuung der Partner findet jeden Tag statt, auch wenn der Vorstandsvorsitzende Stefan Volken und ich sehr stark in die Akquise der Partner eingebunden sind. In den meisten Fällen gehen wir auf sie zu. Der EHC Visp hat insgesamt 300 Partner und 95% davon bleiben uns treu. Wir sind wirklich um eine starke Bindung zu ihnen bemüht. Ein Teil unseres Geschäftsmodells basiert auf Networking. An unseren Veranstaltungen nehmen 300 bis 400 Personen teil. Unsere Plattform soll das Ober- und Unterwallis zusammenbringen. 

Ist es vom Image her wichtig, mit Walliser Marken wie der WKB zusammenzuarbeiten?
Das Aktionariat des EHC Visp zeigt es: Der Club gehört der Region. Ein Club aus der Region, für die Region und mit der Region. Wir haben zum Beispiel gerade einen langfristigen Vertrag mit einem wichtigen Walliser Partner für den gastronomischen Bereich unterzeichnet. Wir sind absolut zu 100% lokal. Das ist eine wahre Strategie, für die wir kämpfen und die sowohl von den Fans als auch von den Partnern geschätzt wird. Sie erstreckt sich auch auf kommerziellere Bereiche wie die WKB. Es ist eine starke historische Partnerschaft, die auf Austausch und Vertrauen beruht. Darauf sind wir stolz und auch zufrieden damit.

Die WKB? Es ist eine starke historische Partnerschaft, die auf Austausch und Vertrauen beruht. Wir sind stolz und zufrieden damit.

CEO des EHC Visp.

Sie sind seit 2005 im Amt. Wie schaffen Sie es, in einem solchen Amt zu bestehen?
Ich werde Ihnen eine Anekdote erzählen. Als Visp mich engagieren wollte, warnten sie mich: «Wir haben kein Geld. Aber wenn du dich bewährst, werden wir dein Gehalt erhöhen. Als Geschäftsführer erhielt ich 2’500 Franken im Monat, wobei ich 16 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche arbeitete. Der Club war mit 1 Millionen Franken verschuldet und hatte einen Umsatz von 1,9 Millionen Franken. Der Club musste gerettet und saniert werden. Das war das Reizvolle an dieser Herausforderung, umso mehr für einen Siderser. Zwanzig Jahre später bin ich immer noch da und habe ein besseres Gehalt. Ein Beweis für das Vertrauen und die Treue, die mir das Oberwallis entgegengebracht hat.

Ich formuliere die Frage um. Was hat Sie in all diesen Jahren angetrieben?
Es gab immer Projekte, die mich gereizt haben: das wirtschaftliche Projekt, den Verein zu sanieren, das sportliche Projekt mit den Titeln, das Projekt der Eishalle, der Umgang mit Covid, unsere Neupositionierung. Der gegenwärtige Freudentaumel im Oberwallis bereitet mir unbeschreibliche Freude. Ich habe das Glück, von meinem Hobby leben zu können, wie am ersten Tag. 

Wie führt man ein Unternehmen, das von Sportergebnissen abhängig ist und damit auch vom Zufall?
Zunächst einmal habe ich die Gewissheit, dass ich etwa 100 Mitarbeiter führe, und von dieser Verantwortung werde ich geleitet. Dann muss man vor allem gute Werte im Unternehmen etablieren und sich die Zeit nehmen, dem Druck standzuhalten. Wir sind hier nicht in einem Kuschelzoo, sondern in einem Haifischbecken. Das Management wird diskutiert, wenn es nicht gut läuft. Mit der Erfahrung weiss man, was richtig ist, auch wenn es nie leicht ist, im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen. Meine Verantwortung besteht darin, die Rahmenbedingungen zu schaffen, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben. Man muss sich neu erfinden, lernen, wie die neue Generation funktioniert, und es dem Club ermöglichen, sich weiterzuentwickeln. 

Es war harte Arbeit, die nicht sehr sexy war, aber auf den richtigen Werten beruhte. Heute erkennt das Oberwallis diese Arbeit an und ist stolz auf den Titel der Swiss League.

CEO des EHC Visp.

Was war Ihr schwierigster Moment?
Mit der Errichtung der neuen Eishalle haben wir ein Kontingent an bewährten und erfahrenen Spielern aufgebaut. Wir haben bekannte Namen verpflichtet und haben noch nie so viele Dauerkarten verkauft wie in dieser Zeit. Kurzfristig haben wir zwar wirtschaftliche Vorteile erzielt, aber sportlich war es nicht die richtige Lösung. Andersherum, als wir junge, unbekannte Spieler holten, verloren wir Publikum und ein wenig an Glaubwürdigkeit. Doch das war der Schlüssel zu unserem Erfolg. Es war harte Arbeit, die nicht sehr sexy war, aber auf den richtigen Werten beruhte. Heute erkennt das Oberwallis diese Arbeit an und ist stolz auf den Titel der Swiss League. Er ist sehr wichtig für die Region.

 

Bilder im Text: ©Astrid Schaffner