Vorsorge: die grosse Kluft
«Der Ruhestand will gut vorbereitet sein!» Diese mahnenden Worte können als Mantra betrachtet werden, eine heilige Formel, die man sich immer wieder sagen und vor allem in die Tat umsetzen muss. Vorsorge ist ein grosses und komplexes Thema, dessen Bedeutung sich nur wenige bewusst sind, und wenn überhaupt, dann erst spät. Viele machen sich erst mit etwa 50 Jahren Gedanken über ihren Ruhestand und die damit verbundenen Finanzen», bestätigt Bastien Emery, Vermögens- und Finanzplaner bei der Walliser Kantonalbank (WKB). Doch um böse Überraschungen zu vermeiden, ist eine gute Planung nach wie vor unerlässlich.
Regelmässig gerät das Schweizer Vorsorgesystem (siehe Infokästchen) in die Schlagzeilen und erinnert uns an dessen Bedeutung. Vor einigen Tagen, am 22. September, hat das Schweizer Volk eine Reform der 2. Säule, der beruflichen Vorsorge, abgelehnt. Im März 2024 nahm es die AHV-Renteninitiative an, die im Jahr 2026 in Kraft treten soll. Die AHV-Reform 21 wurde im September 2022 an der Urne angenommen, womit die Finanzierung der AHV und das Rentenniveau für die nächsten zehn Jahre gesichert sind.
Das Schweizer Vorsorgesystem
Wer hat nicht schon von den drei Säulen gehört? Sie sind die Grundlagen des Schweizer Systems der Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenvorsorge. Dies sind:
- Die staatliche Vorsorge. Damit sind die Beiträge der AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung), der IV (Invalidenversicherung) und der EO (Erwerbsausfallversicherung) sowie die Ergänzungsleistungen (EL) gemeint. Es handelt sich um ein Umlagesystem, das zu gleichen Teilen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden finanziert wird. Sein Ziel ist es, den Lebensbedarf der Versicherten zu decken.
- Die berufliche Vorsorge, bekannt unter der Abkürzung BVG. Hierbei handelt es sich um ein Kapitaldeckungsverfahren, das ebenfalls von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden finanziert wird. Die Pensionskassen müssen die Aufrechterhaltung des gewohnten Lebensstandards gewährleisten.
Zum Zeitpunkt der Pensionierung sollen die ersten beiden Säulen im Durchschnitt 60% des Einkommens abdecken. - Die private Vorsorge. Hierbei handelt es sich um ein Kapitalisierungssystem in Form einer gemischten Lebensversicherung oder eines Säule-3a-Bankkontos, das vollständig vom Arbeitnehmer finanziert wird. Es soll unseren zusätzlichen Bedarf im Ruhestand decken.
Unerbittliche Zahlen
Aus aktuellem Anlass organisierte die WKB am Dienstag, 1. Oktober, eine Veranstaltung an ihrem Stand an der Foire du Valais in Martigny. Die Bank hatte rund zwanzig Kundinnen eingeladen, um sich des Themas «Vorsorge für Frauen» anzunehmen. Dieser Fokus ist nicht nebensächlich. «Das Schweizer Vorsorgesystem berechnet seine Leistungen nicht in Abhängigkeit davon, ob der Versicherte ein Mann oder eine Frau ist. Dennoch kann es bestimmte Lebenssituationen, mit denen Frauen statistisch gesehen häufiger konfrontiert sind, benachteiligen», erklärt Bastien Emery. Um welche Lebenssituationen handelt es sich dabei? Die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit nach der Ankunft eines Kindes in der Partnerschaft zum Beispiel oder die Wiederaufnahme der Arbeit mit einem geringeren Prozentsatz.
Im Klartext heisst das, dass es bei der Höhe der bezogenen Renten grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, obwohl Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer. Die uns vom Bundesamt für Statistik gelieferten Zahlen, die vom November 2023 datieren, sind unerbittlich und betreffen alle drei Säulen. So beträgt der durchschnittliche Monatsbetrag der AHV-Rente für einen Mann 1'924 Franken und für eine Frau 1'744 Franken (-9%). Bei den BVG-Renten ist die Kluft noch grösser. Männer erhalten im Durchschnitt 2'656 Franken, Frauen 1'611 Franken (-39%). Die Kluft wird geradezu abgrundtief, wenn es um das bezogene BVG-Kapital geht. Die durchschnittliche Summe beträgt 307'774 Franken für Männer und 136'150 Franken für Frauen (-56%). Bei der 3. Säule beläuft sich das bezogene 3a-Kapital auf 64'861 Franken für Männer und 51'166 für Frauen (-21%).
Das Schweizer Vorsorgesystem berechnet seine Leistungen nicht unterschiedlich, ob der Versicherte ein Mann oder eine Frau ist. Dennoch kann es bestimmte Lebenssituationen, mit denen Frauen statistisch gesehen häufiger konfrontiert sind, benachteiligen.
Die Rolle der WKB
Der Fall des BVG spricht Bände. Nehmen wir ein praktisches Beispiel. Bei einem Jahreslohn von 70'000 Franken und den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Beiträgen wird eine Frau, die zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr ihre Arbeit aufgibt, nach dieser Unterbrechung eine Lücke von 41% in ihrer Pensionskasse feststellen. Wenn sie nach dieser Pause mit einem Arbeitspensum von 50% für 15 Jahre weiterarbeitet, wird die Lücke im Alter von 50 Jahren 64% betragen. Diese Lücke entspricht zwei Dritteln dessen, was sie angespart hätte, wenn sie ihre Karriere nicht ihren familiären Verpflichtungen untergeordnet hätte.
Diese Zahlenbeispiele haben die von der WKB geladenen Gäste überrascht. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Diese Lücken können grundsätzlich geschlossen werden, wenn die Person wieder voll- oder höherprozentig arbeitet, nämlich durch den Einkauf von individuellen Beiträgen, durch die Wahl eines besseren Beitragsplans oder durch eine Mischung aus diesen beiden Möglichkeiten. Da jede Situation anders ist, ist es besser, sich beraten zu lassen. «Die Rolle der WKB besteht darin, die Menschen für diese Themen zu sensibilisieren. Die Vermögens- und Finanzplanung hat zum Ziel, den Kunden und Kundinnen der Bank eine Einschätzung ihrer Gesamtsituation und eine 360-Grad-Beratung zu bieten», erklärt Bastien Emery. Zu dieser Planung gehört auch die Thematik der 3. Säule und deren Optimierung.
Vorsorge ist eine persönliche Sache, aber ihre Herausforderungen betreffen alle. Die Alterung der Bevölkerung, die steigende Lebenserwartung und die niedrigen Zinssätze haben einen Einfluss auf die Leistungen. Diese Phänomene werden sich in den nächsten Jahren weiter verstärken und das Schweizer Vorsorgesystem beeinträchtigen. «Kleine Verbesserungen werden abgelehnt, so wie die letzte Abstimmung über das BVG. Dabei braucht das Schweizer Vorsorgesystem eine Revolution», meint Bastien Emery. Umso wichtiger ist es, sich auf den Ruhestand vorzubereiten und sich von Experten beraten zu lassen.
Praktische Hilfsmittel
Abgesehen von den Tipps, welche die Walliser Kantonalbank (WKB) zur Vorsorge geben kann, gibt es ein paar praktische Hilfsmittel, mit denen Sie herausfinden können, wie viel Geld Sie im Ruhestand erhalten werden. Auf der Website www.ahv-iv.ch stehen Ihnen mehrere Formulare zur Verfügung. Damit können Sie Ihre zukünftige AHV-Rente berechnen, einen individuellen Kontoauszug bestellen und Simulationen über Ihre voraussichtliche Rente je nach Situation durchführen. Für die 2. Säule kann beim Sicherheitsfonds BVG nach Guthaben aus der beruflichen Vorsorge gesucht werden. Schliesslich stellt die Internetseite der WKB den Nutzern einen Rechner zur Verfügung, mit dem die Rendite Ihrer 3. Säule geschätzt werden kann.